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Mar 21

21. March 2022 von Dirk Wohleb | Allgemein

Spreu vom Weizen trennen

Wie nachhaltig Finanzprodukte sind, lässt sich nicht so leicht erkennen. Worauf Finanzberater achten müssen – und welche Ratings ihnen dabei behilflich sind.

Kunden fragen immer häufiger ihre Anlageraterin oder ihren Anlageberater, welche Fonds nachhaltig gemanagt sind. Doch so überzeugend Nachhaltigkeit als Konzept ist, in der Praxis sind viele Fragen offen. So erwirtschaftet Audi einen Großteil des Umsatzes und des Gewinnes mit Autos, die mit Verbrennungsmotoren angetrieben werden, will aber ab 2026 nur noch Fahrzeuge mit umweltfreundlichen Antrieben herstellen. Ist Audi schon jetzt nachhaltig oder erst in fünf Jahren?

Ab 2022 wird Nachhaltigkeit zu einem verpflichtenden Teil der Anlageberatung. Derzeit ist die Unsicherheit groß, wie Finanzprodukte einzuschätzen sind. So wünschen sich laut einer WhoFinance-Umfrage 58 Prozent der Finanzberater mehr Informationen von Versicherungen und Fondsgesellschaften zu nachhaltigen Geldanlagen. Sage und schreibe 56 Prozent der Finanzberater geben an, dass ihre Kunden nicht ausreichend über nachhaltige Geldanlagen informiert sind, wie eine Umfrage von WhoFinance zeigt.

Ratingagenturen prüfen auf Nachhaltigkeit

Eine wichtige Rolle, um Produkte vergleichen zu können, übernehmen Ratingagenturen. In Deutschland sind Morningstar und Scope Analysis die bekanntesten Anbieter. Doch Finanzberater sind mit dem aktuellen Angebot nicht zufrieden. Immerhin 64 Prozent der befragten Finanzberater wünschen sich neue Ratings, um die Qualität von nachhaltigen Geldanlagen besser einschätzen zu können.

In quantitative Ratings von Investmentfonds geht Nachhaltigkeit als eigenes Kriterium nicht ein. Die Bewertung hängt von Rendite und Risiko ab. Bei Scope und Morningstar erhalten Fonds ein Rating, wenn sie mindestens drei Jahre auf dem Markt sind. Beim Risiko kommt es darauf an, wie stabil die Wertentwicklung ist, wie

stark sie schwankt und wie hoch der maximale Verlust in einem Zeitraum von sechs Monaten in den vergangenen drei Jahren war. Bei Morningstar erhalten die Fonds je nach Bewertung ein bis fünf Sterne, bei Scope reicht die Notenskala von A bis E.

Anleger achten zunehmend auf Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit wird bei diesen Ratings also nicht direkt gemessen. Bei der Bewertung von Unternehmen an den Börsen spielt dieses Kriterium aber eine immer wichtigere Rolle. So haben die Bewertungen von Energieversorgern mit hohen CO2-Emissionen stark nachgegeben. Umgekehrt werden Unternehmen mit niedrigen Emissionen zu höheren Kursen bewertet. Das zeigt auch eine Untersuchung der Fondsgesellschaft Fidelity International, der zufolge jede Verbesserung von Unternehmen im hauseigenen ESG-Rating eine um 2,8 Prozentpunkte höhere Aktienperformance brachte.

Gerade während der Corona-Pandemie konnten nachhaltig gemanagte Investmentfonds deutlich besser abschneiden als der gesamte Markt. „Dieses Ergebnis können wir aber derzeit nicht eins zu eins der Nachhaltigkeit zuschreiben. Viele dieser Fonds haben bestimmte Industrien wie zum Beispiel die Energieoder Automobilwirtschaft gemieden, die von der Krise besonders stark betroffen waren“, sagt André Fischer, Experte für Fondsratings bei der Ratingagentur Scope Analysis. Es bedürfe weiterer Untersuchungen, um genau zu analysieren, wie sich Nachhaltigkeit auf die Performance auswirkt.

Auch in naher Zukunft müssen Finanzberater weiter mit den klassischen Ratings von Morningstar und Scope arbeiten. Sie können dabei aber zusätzliche Informationen verwenden. So hat Scope Analysis das „ESG Capability Rating“ entwickelt. „Wir vergleichen und bewerten die Fähigkeiten von Asset-Managern im Hinblick auf Nachhaltigkeit“, erklärt Fischer. Das ist eine zusätzliche Bewertung, die Finanzberater in ihrem Alltag verwenden können. Bei offenen Immobilienfonds bezieht Scope Nachhaltigkeit als festen Bestandteil in die Ratings ein.

Rating für Nachhaltigkeitsrisiken

Die Ratingagentur Morningstar bietet für jeden Fonds zusätzlich zum traditionellen Rating eine Bewertung, die Nachhaltigkeitsrisiken aufzeigt. „Das Rating ermöglicht es Anlegern, ihr Nachhaltigkeits-Research stärker in den Kontext klassischer Rendite-Risiko-Überlegungen zu stellen“, erklärt Morningstar. Die

Bewertungen werden erhoben von Sustainalytics, einem Spezialisten für die Messung von Nachhaltigkeit von Unternehmen. Das Nachhaltigkeitsrating ist ein Maß dafür, wie gut die Unternehmen in einem Portfolio ihr ESG-Risiko im Vergleich zu den anderen Fonds im Griff haben. Allerdings ist die Darstellung dieser Risiken zu den einzelnen Fonds auf den Seiten von Morningstar kompliziert und nicht auf den ersten Blick ersichtlich.

Eine wichtige Hilfe für Finanzberater: Die Produktanbieter müssen laut Offenlegungsverordnung veröffentlichen, ob ihre Fondsprodukte nachhaltig sind oder nicht. Diese Selbstauskunft gibt Finanzberatern wichtige Hinweise, wie sie diese Fonds zu bewerten haben. Das Forum für Nachhaltige Geldanlagen prüft und zertifiziert seit 2015 Fonds. Zusammen mit Finanzfachleuten und
zahlreichen Experten aus Sozial- und Umweltorganisationen hat das Forum Kriterien entwickelt, um die Nachhaltigkeit von Fonds zu bewerten und vergleichbar zu machen. Fonds, die den strengen Kriterienkatalog erfüllen, werden mit einem Siegel ausgezeichnet.

Dirk Wohleb

Dirk Wohleb ist freier Wirtschafts- und Finanzjournalist. Nach seinem Studium der Volkswirtschaftslehre absolvierte er ein Redaktions-Volontariat bei der Mittelbadischen Presse in Offenburg, arbeitete anschließend als Redakteur bei Euro am Sonntag, der Frankfurter Rundschau und beim Wirtschaftsmagazin Capital.
Zu seinen Schwerpunktthemen zählen Nachhaltigkeit in der Geldanlage, aber auch im Reporting von Unternehmen.