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Jun 15

15. June 2022 von WhoFinance | Interview

Kundennähe in Zeiten der Digitalisierung

 Ansgar Oberreuter

In den späten Neunzigern und kurz nach der Jahrtausendwende war Multikanalbanking das Zauberwort für die Zukunftsstrategie im Privatkundengeschäft nahezu aller Universalbanken. Ein wichtiger Treiber dahinter waren die hohen Kosten des Vertriebs in der Fläche.

Was für viele Banken eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit war, gestaltete sich für ihre Kunden in der Umsetzung meist mühsam: Vor allem ältere Privatkunden fühlten sich von den frühen Versionen des Online Bankings abgehängt und taten sich mit den elektronischen Zugängen schwer.

Seitdem hat sich viel verändert und unser Alltag ist digital geworden. Das Smartphone hat den Computer für viele Alltagsanwendungen abgelöst. Und die Generation 60plus ist online: die Wochenendreise wird auf dem iPad gebucht, die Dachbodenfunde werden auf ebay versteigert und das Telefonat mit den Enkeln hat dem VideoCall über WhatsApp Platz gemacht. Bei den über 50-jährigen bestehen derzeit die höchsten Zuwachsraten bei der Nutzung sozialer Medien. Ist es da nicht naheliegend, noch einmal grundsätzlich über die Notwendigkeit von Filialen nachzudenken? Zumal neue, agile und volldigitale Wettbewerber vormachen, wie es auch anders gehen kann?

Wir haben darüber mit Ansgar Oberreuter gesprochen, Leiter Privatkundenvertrieb der HypoVereinsbank – UniCredit Deutschland.

Herr Oberreuter, ganz direkt gefragt: Braucht es weiterhin physische Banken, also echte Filialen in echten Gebäuden?

Ja, definitiv. Wir müssen uns allerdings etwas genauer ansehen, wofür wir sie brauchen. Das beginnt mit der Frage, was bisher in der Filiale stattfand. Das war Service und Beratung. Hier hat im Vergleich zu vor 20 Jahren eine gravierende Veränderung stattgefunden: Service funktioniert heute zum größten Teil auch ohne Filiale und findet mittlerweile fast ausschließlich über Online und Mobile Banking statt: schnell, bequem und von zuhause. Hier war die Verbreitung der sogenannten mobilen Devices ein deutlicher Treiber, also Smartphone und Tablet. Und die Pandemie hat diesen Trend in den vergangenen beiden Jahren noch einmal spürbar verstärkt und letztendlich zur Normalität gemacht.

Der Service findet also online statt und die Beratung in der Filiale?

Das wäre etwas zu pauschal, denn auch in der Beratung hat die Digitalisierung Einzug gehalten. Und auch hier muss man zugeben, dass Corona und die verschiedenen Lockdowns als Beschleuniger gewirkt haben. Wir haben beispielsweise schon vor 10 Jahren damit begonnen, Videoberatung anzubieten. Durch das Arbeiten von zuhause sind Videokonferenzen in vielen Bereichen zum Normalfall der Kommunikation geworden. Das hat auch der Videoberatung starke Akzeptanz verliehen. Das funktioniert mittlerweile so gut, dass wir die Videoberatung auch auf beratungsintensivere Themen ausweiten, wie etwa Vorsorge.

Wenn das schon so gut funktioniert, dann benötige ich die Filiale vielleicht doch nicht mehr?

Doch, wir brauchen sie, wir können den persönlichen physischen Kontakt aber gezielter einsetzen. Wir sprechen da von einem hybriden Modell: Die Filiale und die anderen Kanäle wie Online und Mobile einschließlich Telefon sind aufeinander abgestimmte Bestandteile der Kommunikation mit den Kunden. Die physische Beratung vor Ort nimmt dabei einen wichtigen Platz ein und ich bin davon überzeugt, dass sie ihn auch behalten wird.

Wo wir als Banken vielleicht den größten Nachholbedarf gegenüber anderen Branchen hatten, das war die sogenannte Customer Experience. Da hat auch in den letzten Jahren die meiste Veränderung in unserer Industrie stattgefunden. Und hier sind es wiederum zwei Hauptbestandteile, um die es geht: Convenience und Relevanz. Convenience, also letztlich der Komfort oder die Bequemlichkeit der Nutzung, ist die Grundbedingung, die conditio sine qua non. Wenn ein Kanal aber nur bequem, für den Kunden aber nicht relevant ist, führt er auch in eine Sackgasse. Relevanz muss also hinzukommen. Wenn das beides gelingt, dann sind Kunden auch bereit, mit ihrer Bank über andere Themen zu sprechen und der sogenannte „Share of Wallet“ wird größer. Wie gesagt: wenn Convenience und Relevanz stimmen.

Für uns bedeutet Relevanz, dass wir in für die Kundinnen und Kunden  relevanten Situationen für sie da sind und den Kontakt halten. Gerade in Krisen ist Banking ja auch Vertrauen. Da muss es den Kunden einfach gemacht werden, ihren Bedarf zu adressieren. Heute können unsere Kunden in jeder unserer Filialen Ihr Anliegen loswerden und es wird ihnen geholfen. Da gibt es kein „oh, da müssten Sie mit unseren Kollegen in Ihrer Heimatfiliale sprechen“. Das halten wir für nicht mehr zeitgemäß. Wenn Kunden zu uns kommen und uns um Unterstützung bitten, dann kümmern wir uns auch.

Das erwarten Kunden heutzutage auch – und zurecht. Wir wissen das, denn wir haben unsere Kunden immer gefragt, ob das Kundenerlebnis auch so funktioniert, wie sie es sich wünschen würden. Diese Feedbacks haben wir extrem ernst genommen und sehr konsequent abgearbeitet. Denn auch das wird heute erwartet: die permanente Verbesserung bei der Kundenwahrnehmung.

Noch einmal zurück zur grundsätzlichen Frage nach den Filialen: Welche Bedeutung werden künftig physische Standorte haben und nach welchen Kriterien legen Sie sie fest?

Dazu sehen wir uns zunächst den jeweiligen lokalen Markt an. Natürlich spielen dabei die Wachstumsperspektiven vor Ort eine Rolle, denn eine Entscheidung für einen Standort ist eine Entscheidung für die nächsten fünf bis zehn Jahre. Auch die Kundenstruktur vor Ort sehen wir uns an. Am Ende sind das langfristig angelegte und sehr durchdachte ökonomische Entscheidungen.

Dazu muss man auch sagen, dass Filiale nicht gleich Filiale ist. Wir arbeiten beispielsweise mit unterschiedlichen Standortkonzepten, die sich an der Beratungs- und Bedarfssituation vor Ort orientieren. Das, was in einer Filiale angeboten wird, hängt also auch davon ab, welche Inhalte für welche Zielgruppen vor Ort relevant sind – wobei wir wieder bei der Relevanz sind. Wir machen das übrigens schon etwas länger so und haben das Filialkonzept bereits vor 10 Jahren so aufgestellt und, wie ich finde, richtig kalibriert. Auch hier kommt wieder der hybride Ansatz zum Tragen – und er funktioniert. Wir sehen, dass die Nutzung der verschiedenen Kanäle über alle Segmente hinweg wächst.

Blicken wir nach vorn. Wo erwarten Sie die größten Veränderungen in den nächsten 10 Jahren? Hält die Virtual Reality-Brille Einzug in die Beratung?

Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich eine technische Neuerung ist, die für eine massive Umwälzung sorgt. Ich glaube eher nicht. Die Herausforderung sehe ich woanders: Wir müssen uns noch stärker fragen, ob komplexe Produkte und einfache Kanäle zusammenpassen. Wir haben bereits jetzt einfach zu bedienende und verständliche Kanäle. Ich denke, dass auch die Produkte einfacher werden und der Einfachheit der Kanäle folgen sollten. Das wird eine große Herausforderung für Banken werden.

Ein weiterer Punkt sind verschwimmende Grenzen in der Kundenbeziehung. Mittlerweile bewegen wir uns alle in Ökosystemen, in denen nicht mehr jeder Anbieter alles selbst macht, sondern mit spezialisierten Partnern arbeitet. Das ist von den Kunden auch akzeptiert. Sie sind bereit, Intermediäre in Anspruch zu nehmen. Wir kennen das vor allem in der Baufinanzierung, aber auch in anderen Bereichen. Und auch hier kommen wir wieder auf die Relevanz: die Herausforderung wird darin bestehen, für den Kunden relevant zu bleiben, nicht den Kontakt zu verlieren und primärer Ansprechpartner zu bleiben.

Welche Rolle wird die Preisgestaltung bei der Differenzierung spielen?

Bei der Preisgestaltung sehe ich tatsächlich eine Veränderung kommen: In 10 Jahren dürfte der Wettbewerb sich mehr über Produktmerkmale abspielen. Da müssen wir uns die Frage stellen, ob diese Unterschiede wahrnehmbar sein werden und wie man sie im Wettbewerb klarmachen kann. Wir werden jedoch eine höhere Produktrelevanz erleben und in diesem Zusammenhang eine wachsende Bedeutung des Produktdesigns. Wie schon erwähnt verlangen einfache und verständliche Kanäle auch nach einfachen und verständlichen Produkten.

Apropos Produktdesign, einen technischen Aspekt würde ich doch noch herausgreifen, allerdings keine Umwälzung, sondern eher eine schneller werdende sukzessive Entwicklung: Das ist der Einsatz künstlicher Intelligenz im Rahmen des sogenannten Smart Bankings. Chat- und Voice Bots werden eine immer wichtigere Rolle spielen und sie werden immer besser werden. Dies hängt mit dem Einsatz von KI zusammen. In diesen Kontext gehört für mich auch, dass mit Hilfe von KI eine höhere Datenkonvergenz erreicht wird. Die im Haus verfügbaren Daten können noch besser und zielführender kombiniert werden. Auf diese Weise entsteht auf der Bankenseite ein höherwertiges CRM, von dem nicht nur die Bank profitiert. Für die Kundenseite heißt dies eine zielgerichtetere Ansprache mit weniger Streuverlusten – und damit mehr Relevanz.