News


Teil 2 des Interviews mit Michael Heise, Chefökonom von HQ Trust und Gründer von Macroadvisors

(Teil 1 lesen Sie hier.)

 

Von DR. HERBERT WALTER – 29. Mai 2020

Wohin wird die Reise an den Zinsmärkten gehen? Michael Heise spricht im exklusiven Interview darüber, dass er bei den Zinsen leichte Auftriebskräfte sieht, ehe diese dann aber wieder nachlassen.

Michael Heise rechnet kurzfristig mit einem leichten Zinsanstieg. Deutsche Staatsanleihen sollten dann vorübergehend aus den Negativrenditen herauskommen. Den Kauf von festverzinslichen Staatspapieren zur Anlage schätzt er deshalb eher kritisch ein. Den Hintergrund für die leicht steigenden Zinsen sieht Heise in einer zunehmenden Nachfrage im Falle von weiteren Lockerungen der Corona-Maßnahmen sowie in einem schon erkennbaren Preisauftrieb bei medizinischen Gütern, bei den Gemüsebauern und als Folge von Verspannungen bei Zulieferungen aus dem Ausland.

Auf längere Sicht wird der Preis- und Zinsauftrieb dann wieder nachlassen, so Michael Heise. Hierzu trägt bei, dass nach großen Krisen der Staat, die Unternehmen und die Privathaushalte mehr sparen müssen, um der Schulden Herr zu werden bzw. die liquiden Reserven wieder aufzufüllen. Heise geht davon aus, dass die Vermögenspreise anziehen, sobald die Krise sicher überwunden ist. Profitieren werden davon längerfristig Anleger, die sich frühzeitig gewagt haben, wieder in Risikopapiere wie etwa Aktien zu investieren.

Prof. Dr. Michael Heise ist einer der besonders renommierten deutschen Ökonomen. Heute ist er unter anderem tätig als Chefökonom von HQ Trust sowie Inhaber und Gründer von Macroadvisors. Der promovierte Volkswirt war von 2002 bis 2019 Chefvolkswirt der Allianz. In dieser Funktion hat er den Vorstand in volkswirtschaftlichen und strategischen Fragen beraten. Vor dem Eintritt in die Allianz und Dresdner Bank war Heise über mehrere Jahre Generalsekretär des Sachverständigenrats für die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung („fünf Wirtschaftsweise“).

 

Aktienmarkt - Bull & Bear

 

 

„Auf kurze Sicht erwarte ich einen leichten Zinsanstieg“

Herr Heise, empfehlen Sie Anlegern, neben Risikopapieren auch wieder mehr sichere Staatsanleihen zu kaufen?

Michael Heise: Den Kauf von festverzinslichen Staatspapieren zur Anlage sehe ich eher kritisch, denn die Staaten müssen ihre sehr groß dimensionierten Rettungsprogramme zunächst refinanzieren. Dazu werden sie sich verschulden und eine Flut von Anleihen emittieren, die der Markt erst einmal verdauen muss.

Um einen Zinsanstieg zu verhindern, werden die Notenbanken doch wohl einen substantiellen Teil der staatlichen Anleiheemissionen auf ihre Bücher nehmen?

Michael Heise: Davon gehe ich aus. Ob es ihnen aber gelingt, jedweden Zinsauftrieb bzw. Druck auf die Kurse zu unterbinden, würde ich infrage stellen. Ich nehme an, dass wir einen leichten Zinsanstieg erwarten dürften und zumindest aus den Negativrenditen für deutsche Staatsanleihen herauskommen. Das ist der Rendite von Staatsanleihen naturgemäß nicht zuträglich. Sie sind nur dann rentabel, wenn die Marktzinsen weiter sinken sollten – wir also, in ein Deflationsszenario abrutschen. Das halte ich aber für unwahrscheinlich.

Können die staatlichen Rettungsprogramme eigentlich ewig so weitergehen?

Michael Heise: Nein. Die Verschuldungswelle der Nationalstaaten wird nicht unbegrenzt anhalten können. Auf längere Sicht wird eine Konsolidierung der öffentlichen Haushalte in vielen Ländern unvermeidbar sein.

 

„Auch die Preise werden steigen, zumindest kurzfristig“

Können Sie sich einen Zinsauftrieb vorstellen für den Fall, dass sich inflationäre Tendenzen zeigen sollten?

Micheal Heise: Ja, eine Erhöhung der Verbraucherpreisinflation halte ich kurzfristig für durchaus denkbar. Sie zeigt sich in manchen Bereichen bereits: Etwa bei Arzneimitteln, Schutzbekleidung und anderen medizinischen Gütern infolge der aktuell sehr hohen Nachfrage bei gleichzeitig knappem Angebot.

Die Corona-Krise ist natürlich ein Sonderfall. Gibt es auch andere Beispiele für anziehende Preise?

Michael Heise: Überall dort, wo die Kosten durch die Auflagen und Verbote steigen, wird es tendenziell zu höheren Preisen kommen. Auch in der Landwirtschaft, etwa bei den deutschen Gemüsebauern, sehen wir steigende Preise, da die dort benötigten Arbeitskräfte nicht ausreichend zur Verfügung stehen. Oder bei Produkten, wo die weltweiten Wertschöpfungsketten nicht mehr reibungslos funktionieren und es bei ausbleibenden Zulieferungen zu Verspannungen mit anziehenden Preisen kommen kann.

Für Auftrieb bei Preisen und Zinsen könnte auch eine durchgreifende Wiedereröffnung der Wirtschaft sorgen?

Michael Heise: In der Tat halte ich Nachholeffekte in der Gesamtwirtschaft für durchaus wahrscheinlich, wenn die Unternehmen und Privathaushalte wieder weitgehend frei agieren können. Jedenfalls gibt es ein paar gute Gründe dafür, dass die Zinsen nicht so tief im negativen Bereich verharren werden als bisher gedacht. Das alles gilt aber nur auf kurze Sicht.

 

„Der Auftrieb bei Preisen und Zinsen wird wieder nachlassen“

Und wie sieht es auf längere Sicht mit der Inflation aus?

Michael Heise: Längerfristig werden die Verbraucherpreise eher unter Druck geraten, weil nach großen Krisen meist eines unvermeidbar ist: Dass der Staat, die Unternehmen und die Privathaushalte mehr sparen müssen, um der Schulden Herr zu werden bzw. die Kasse wieder für Notfälle aufzufüllen. Dies wirkt ebenso dämpfend auf die Nachfrage, wie eine forcierte Digitalisierung, die in Produktion, Handel und Dienstleistung nach der Corona-Krise zu erwarten ist. Mit einer Inflation erster Güte bei den Verbraucherpreisen rechne ich deshalb nicht.

 

„Sobald die Krise endet, werden die Vermögenspreise steigen“

Was erwarten Sie bei den Vermögenswerten? Wird es zu einem erneut starken Aufwärtszyklus an den Finanzmärkten kommen?

Michael Heise: Ich denke, wir werden eine Erfahrung aus der großen Finanzkrise jetzt wieder machen: Dass die enorme Liquidität, die in den Geldkreislauf gepumpt wird, primär die Vermögenspreise nach oben ziehen. Denn der Liquiditätsüberhang und der sehr niedrige Realzins werden dafür sorgen, dass Risikoanlagen überaus begehrt sind.

In diesem Jahr sehen wir das bisher nicht. Die Vermögenswerte sind zu Beginn der Corona-Krise wie ein Stein gefallen und die Kursverluste wurden noch nicht wieder vollends aufgeholt. Wann sehen Sie auf der Zeitachse ein nachhaltiges Anziehen der Vermögenswerte?

Michael Heise: Eine Glaskugel habe ich natürlich auch nicht. Grundsätzlich sollte der expansive Finanzzyklus einsetzen, sobald wir die momentane Krise sicher überwunden haben, also ein Impfstoff vorhanden ist oder die Infektionszahlen auf ein Minimum gesunken sind.

 

„Aktienanleger werden von der Vermögensinflation profitieren“

Wie können Anleger daraus Nutzen ziehen?

Michael Heise: Auf längere Sicht werden Anleger profitieren, die sich in risikobehaftete Investments gewagt haben, wie etwa Aktien. Zwischenzeitliche Kursrückschläge zu nutzen, um die Bestände an Risikoanlagen Schritt für Schritt wieder aufzustocken, könnte sich also lohnen.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

 

Teil 3 des Gesprächs lesen Sie hier.

 

 

DR. HERBERT WALTER 

Foto Dr. Herbert Walter

Dr. Herbert Walter arbeitet seit rund 40 Jahren in der Finanzbranche. Seine Laufbahn begann er 1983 in der Deutschen Bank. Dort war er zuletzt Mitglied des obersten Konzernführungsgremiums und weltweit verantwortlich für den Unternehmensbereich Private & Business Clients. 2003 wurde er Holdingvorstand der Allianz SE und Vorstandsvorsitzender der Dresdner Bank AG. Seit 2009 ist er selbständig tätig und Inhaber von Dr. Herbert Walter & Company, einer unabhängigen Beratungsfirma mit Fokus auf Finanzdienstleister.