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Jun 02

02. June 2020 von Dr. Herbert Walter | Interview

Corona-Krise: Finanzbranche als Teil der Lösung

Teil 3 des Gesprächs mit Michael Heise, Chefökonom von HQ Trust und Gründer von Macroadvisors – ergänzt um weitere Stimmen

(Hier gelangen Sie zu Teil 1 und Teil 2.)

 

Das Coronavirus könnte noch viel Unheil über die Finanzbranche bringen. Vielleicht steht es später auch einmal für etwas ganz anderes: Den endgültigen Durchbruch bei der Digitalisierung und dauerhaft bessere Beziehungen zu Finanzkunden.

 

Von DR. HERBERT WALTER – 2. Juni 2020

Die Corona-Krise zeigt dramatisch, wie rasch Menschen ihr Verhalten ändern können, wenn es die Situation erfordert. Claus Gillen, Vorstand FiNUM Finanzhaus, über das, was er privat in den Wochen des Lockdowns erlebt hat: „Ich bewundere meine 80jährige Mutter, wie sie sich durch die Krise kämpft. Um nicht angesteckt zu werden, erledigt sie Einkäufe ‚hybrid’.“

Dass auch die Generation der „Best Ager“ ihre Lebensmittel im Online-Shop ordert und an die Haustüre liefern lässt, ist mittlerweile kein Einzelphänomen mehr. Die reiferen Jahrgänge nutzen sogar immer öfter Tools wie Facetime oder Skype, um ihre Kinder oder Enkel wieder mal von Angesicht zu Angesicht zu sehen.

Das staatlich verordnete Abstandhalten wurde beruflich zum Startsignal für einen „unfreiwilligen Feldversuch mobilen Arbeitens,“ wie Andreas Glemser, Vorstandsvorsitzer der Stuttgarter COCOMIN AG, es ausdrückt. Sein Kollege Thomas Rosenfeld, stellvertretender Vorstandschef der BW-Bank, spricht von einem „Glücksfall, dass wir die modernen Technologien nutzen können.“

 

 

 

Finanzberater*innen wollen digital noch präsenter werden

Das Finanzportal WhoFinance hat im Mai Finanzberater*innen befragt, wie sich das Coronavirus längerfristig auf ihr Geschäft auswirken wird. Zwei Ergebnisse stechen heraus:

  • So wollen 9 von 10 Berater*innen geschäftlich künftig intensiver digitale Werkzeuge nutzen: Auf diese Weise wird es dem Berater beispielsweise ermöglicht, seinen Bildschirm mit dem Kunden zu teilen. Er kann ihm so ein Finanzierungs- oder Anlagekonzept vorstellen, das Berater wie Kunde gleichzeitig in den Blick nehmen. WhoFinance bietet Videoberatungen über eine Skype-Anwendung an und erlebt damit derzeit starken Zuspruch.
  • 8 von 10 Berater*innen möchten in Zukunft mehr tun, um digital noch präsenter zu werden: Gemeint ist hier etwa eine digitale Visitenkarte mit glaubwürdigen Feedbacks anderer Kunden, z.B. auf WhoFinance. Manfred Knof, Privatkundenchef der Deutschen Bank in Deutschland, gibt ein Beispiel: „Über 1.800 Finanzberater*innen für Postbank und Deutsche Bank haben eine digitale Visitenkarte bei dem Portal, die für Interessenten und Kunden zugänglich ist.“

 

Kraftakt für Kunden in Krise bringt verbessertes Image

Kein Wunder, dass der Chefökonom von HQ Trust GmbH, Michael Heise, das Arbeiten aus den eigenen vier Wänden in den Corona-Wochen positiv bewertet: „Viele Menschen berichten, dass sie im Homeoffice gut arbeiten können und auch die Vernetzung mit Kollegen*innen sowie Kunden bestens klappt.“

Im Kunde-Berater-Kontakt standen in den ersten kritischen Wochen nach Beginn der Krise nicht alltägliche, sondern anspruchsvolle Fragen im Mittelpunkt. Wie die aktuelle Beraterumfrage von WhoFinance zu „Auswirkungen von Corona“ zeigt, wurden vier Themen besonders häufig genannt: Geldanlage (63 %), Immobilienfinanzierung (57 %), Versicherung (48 %) und staatliche Fördermittel (41 %).

Viele Finanzberater*innen melden in der Umfrage zurück, dass ihre Beratung von Kunden künftig noch wertschätzender empfunden wird. Manfred Knof setzt das in den richtigen Kontext, wenn er darauf hinweist, dass die Finanzbranche an Image hinzugewonnen habe und jetzt ein Teil der Lösung sei, anders als in der großen Finanzkrise 2008 – 2010.

 

Kunden wollen Kombination aus digital und persönlich

Michael Heise sieht als Ergebnis dieses „Crash-Kurses“ eine forcierte Akzeptanz von neuen Technologien mit längerfristigen Wirkungen: „Ich persönlich erwarte, dass wir uns nach dieser insgesamt positiven Erfahrung stärker einer durchgreifenden Digitalisierung zuwenden werden, im Privatleben ebenso wie beruflich.“

Andreas Glemser sieht das ähnlich: Die Corona-Krise „wird der Digitalisierung in Deutschland einen nachhaltigen Schub geben.“ Für spannend hält er die Frage nach dem „Wie“, d.h. wie sich der Wandel vollziehen werde. Zukunft brauche Herkunft und darum sei eine Bestandsaufnahme nötig, wie die Kunden sich bisher verhalten. Ein Blick auf den Status Quo ist verblüffend:

  • Viele würden vermuten, dass der Anteil der reinen Online-Kunden dynamisch zunimmt. Das ist aber nicht der Fall. Diejenigen Deutschen, die alle ihre Finanzthemen ausschließlich Online erledigen und hierzu keinen Berater nutzen wollen, machen etwa 10 – 20 Prozent des Gesamtmarktes aus und dieser Anteil wächst nicht sehr stark.
  • Das Segment der konservativen Kunden, die alle ihre Finanzthemen über eine Filiale oder Agentur lösen wollen, liegt heute bei 20 Prozent plus/minus.
  • Die überwiegende Mehrheit der Deutschen zählt zu den „hybriden Kunden“: Sie nutzen sowohl digitale Tools als auch persönliche Beratung.

Überraschend ist, dass viele der jüngeren Kunden ihre Privatfinanzen nicht ausschließlich digital erledigen wollen, sondern persönliche Beratung durchaus schätzen. Sie möchten Erfahrungen sammeln, die sie naturgemäß noch nicht machen konnten. Deshalb recherchieren sie im Netz, tauschen sich gerne digital mit anderen aus und schließen dann aber durchaus auch beim Berater ab.

 

Kundenbeziehung noch viel mehr über digitale Kontakte stärken

Unterm Strich hat der plötzliche Durchbruch bei der Akzeptanz neuer Technologien weitreichende geschäftspolitische Auswirkungen: „Zunehmend digitale Prozesse und Abläufe werden Banken, Versicherungen und anderen Finanzanbietern helfen, ihre Dienstleistungen kostengünstiger zu erstellen,“ sagt Michael Heise.

Die Einsparungen werden auch dringend gebraucht werden, um den Umsatz- und Ertragsdruck für die Finanzbranche im Gefolge der Corona-Krise wenigstens einigermaßen abzufedern. Michael Heise sieht eines recht klar: „Auch das Netz an Filial- und Agenturstandorten wird künftig noch weniger dicht geknüpft sein.“

Angesichts eines rasant veränderten Kundenverhaltens sollte nach Ansicht von Michael Heise es eine wesentliche Voraussetzung für weitere Standortkürzungen sein, dass es der Finanzbranche gelingt, „die Beziehung zum Kunden stärker über digitale Kontaktpunkte zu intensivieren.“ Ansonsten gehen Verbindungen zu Stammkunden verloren und Kontakte zu Interessenten, die auf der Suche nach einem Berater oder einem Institut sind, kommen erst gar nicht zustande.

 

Kunden suchen einen Partner, der stets für sie da ist

Für Thomas Rosenfeld von der BW-Bank ist es Anspruch, für seine Kunden da zu sein, wenn diese ihn brauchen – und das nicht nur in außergewöhnlich bewegten Marktphasen, wie jetzt.

Dass es möglich ist, sich voll auf Kunden einzustellen, macht Manfred Knof am Beispiel des Immobilienthemas deutlich: Es lohne sich, die ‚Kundenreise’ zu optimieren und die digitalen wie persönlichen Kontakte von Häuslebauern mit ihrem Finanzanbieter so empfehlenswert wie möglich zu gestalten.

Das sagt nicht irgendwer, sondern der Vertreter eines Anbieters, der einen der Spitzenplätze am Markt für Immobilienfinanzierung einnimmt: Knapp 24 Mrd. Euro Neugeschäft haben Deutsche Bank und Postbank im Jahr 2019 eingefahren.

Einem Häuslebauer als zumeist hybridem Kunden zu zeigen, dass sein Anbieter „stets für ihn da ist“, bedeutet schlussendlich: Alle Prozessstufen „end-to-end“ kompetent und engagiert abzudecken,

  • von der digitalen und persönlichen Begleitung bei der Immobiliensuche
  • über die Objektfinanzierung und
  • ein zwischenzeitlich vielleicht auftretendes Kundenmonitum bis hin
  • zur späteren Modernisierung des in die Jahre gekommenen Zuhauses und
  • schließlich zur Prolongation oder sogar
  • zur vorzeitigen Tilgung des Baukredits.

 

(Hier gelangen Sie zu Teil 1 und Teil 2 des Gesprächs.)

 

 

DR. HERBERT WALTER 

Foto Dr. Herbert Walter

Dr. Herbert Walter arbeitet seit rund 40 Jahren in der Finanzbranche. Seine Laufbahn begann er 1983 in der Deutschen Bank. Dort war er zuletzt Mitglied des obersten Konzernführungsgremiums und weltweit verantwortlich für den Unternehmensbereich Private & Business Clients. 2003 wurde er Holdingvorstand der Allianz SE und Vorstandsvorsitzender der Dresdner Bank AG. Seit 2009 ist er selbständig tätig und Inhaber von Dr. Herbert Walter & Company, einer unabhängigen Beratungsfirma mit Fokus auf Finanzdienstleister.